VIZSLA VOM HOLSTEINER BROOK

Jagdliche Zucht auf Form, Anlage und Leistung

»Wesensschwach,
weich, wasserscheu!«

„Oh Gott, ein Vizsla!“ Hundeführer, die morgens früh auf einer „klassisch“ besetzten Jagd auftauchen, hören das immer wieder. Aber warum? Ein kurzer Ausflug in ihre Geschichte, und der Versuch einer Erklärung …

Die ersten Vizsla kamen irgendwann Mitte der 60er-Jahre nach Deutschland. Es war eine für heutige Begriffe „sehr andere“ Zeit: Der Mann ging arbeiten, die Frau stand am Herd und trug Kittelschürze, und wollte Mutti doch mal einen Job, dann musste sie Vatis schriftliche Erlaubnis vorlegen. Lohn gab‘s noch in der Tüte, freche Kinder bekamen was hinter die Löffel und langhaarige Männer waren grundsätzlich „Hippies“, „Studenten“ oder „Revoluzzer“ und der Puddingproduzent "Dr. Oetkter" konstatierte in seiner Werbung ungestraft: „Sie wissen ja, eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen und was soll ich kochen?“ Kurz: Das Nachkriegsdeutschland war eine Spießer-Hölle.  Autoritär, vermufft, prüde und bigott.

Die Welt war (noch) nicht groß: Billig-Fluglinien, All-Inclusive-Urlaube und Günstig-Ferien in Übersee gab‘s noch nicht, über fremde Länder wusste man wenig, Vorurteile gehörten zum Alltag. Ungarn? Das lag irgendwo hinter dem Eisernen Vorhang. „Alles Zigeuner und Kommunisten!“ Zigeuner klauten, und in der Puszta tanzte man ums Feuer, aß Paprika und die durchwegs rothaarigen Frauen hießen – Lieselotte Pulver sei Dank – alle „Piroschka“, hatten rote Lippen und küssten so heiss, dass „Mann“ nur so dahinschmolz.

Ob das alles stimmte war vollkommen egal. Man lebte gut, auch mit seinen Vorurteilen. Die Wirtschaft boomte, der Wohlstand wuchs. Arbeitslosigkeit gab es nicht. Der ursprünglich mal als Warnung vor Produkten aus dem Dritten Reich erfundene Slogan „Made in Germany“ wurde zum Qualitätsbegriff, Tugenden wie Arbeit, Fleiß und Disziplin „deutsch“. Kurz: Man war wer! Und auch der deutsche Jäger war wer – und an seiner Seite stand  – natürlich – ein deutscher Hund: passioniert, hart, scharf. Die vermeintlich »besten Jagdhunde der Welt«. Alles andere: »Kannste vergessen!«

Entschuldigung, aber das muss jetzt sein:
Ein bisschen Jagdhunde-Geschichte

An dieser Stelle möchten wir zum besseren Verständnis, einen Ausflug in die Geschichte der deutschen Jagdhundezucht machen. Denn wer verstehen möchte, warum Vizsla „weicher“ sind, der muss sich zuerst mal fragen, warum deutsche Rassen so „scharf“ und „hart“ sind.

Wenn es um Jagdhunde geht, hinkte Deutschland im 19. Jahrhundert sehr lange und sehr weit hinter anderen Ländern hinterher. Natürlich gab es Jagdhunde, und viele stammten sogar von einer langen Reihe jagdlich geführter Vorfahren ab, eine strategisch organisierte Rassehunde-Zucht im heutigen Sinn aber gab es nicht. Jeder „dokterte“ vor sich hin: War ein Jäger von der Nasenleistung der englischen Pointer oder Setter, oder vom Stöberwillen der französischen Spaniel begeistert, verpaarte er einen von ihnen mit seiner Hündin. War ein Hund großartig auf der Schweißspur oder sprang auch im Winter begeistert ins eiskalte Wasser, hatte er beste Chancen, sich vererben zu dürfen. Sicher gab es gute Hunde, einer bestimmten Rasse aber gehörten sie kaum an. Insgesamt aber war es mit den deutschen Hunden nicht weit her, und ein Zeitgenosse urteilte sogar: „Es ist amüsanter, einem Pudel die Flöhe abzusammeln, als mit einem deutschen Vorstehhund auf Jagd zu gehen.“

In anderen Ländern sah das anders aus: Die Franzosen und auch die Spanier betrieben schon lange eine sehr gezielte Rasse-Zucht, und aus ihren Zwingern stammten fantastische Hunde. Auch England hatte in Sachen „Jagdhund“ die Nase vorn, und exportierte eine ganze Menge Hunde nach Deutschland. So tummelten sich in den Zwingern des deutschen Adels (von denen viele über mehr oder weniger scharfe Ecken mit dem englischen Königshaus verwandt waren) Pointer, Setter und Retriever.

Um 1870 schließlich wurde dieser „Mangel an Rasse“ zum Politikum. Auf den damals schon stattfindenden Hundeausstellungen in Paris zum Beispiel gab es in der Kategorie „Jagdhund“  genau drei Gruppen: „Braque Anglais“, „Braque Francais“ und „Diverse“ – da standen die  deutschen Hunde. „Diverse“, das klang wie „Grabbeltisch“ und war auch so gemeint. Denn Deutschland hatte damals nicht nur Freunde: 1870 erklärte das Kaiserreich Frankreich dem Königreich Preußen den Krieg. Er währte nicht lange. Innerhalb weniger Wochen wurde die französische Armee niedergekämpft, Kaiser Napoleon III. gefangen genommen.

1871 krönte sich Wilhelm – ausgerechnet im Krönungssaal von Versailles, dem traditionellen Zeremonien-Ort der französischen Könige – zum „Deutschen Kaiser und König aller Preußen“. Die französische Volksseele kochte, Deutschland aber wurde von einem großen Gefühl des Nationalstolzes ergriffen. Man war stolz darauf, Deutscher zu sein – und selbstverständlich wollten die deutschen Jäger nun auch einen eigenen Jagdhund: Passioniert, hart, scharf.

Doch was für ein Hund sollte der deutsche Hund sein? Diskussionen entbrannten: Wollte man es machen wie in England, wo man noch heute Hunde für die Arbeit „vor dem Schuss“ und „nach dem Schuss“ hat? Sollte man die englischen Hunde gar zur Zucht einsetzen? Nein, bestimmt nicht. Englisches Blut in deutschen Hunden … – also wirklich, so gerne hatte man die Engländer nicht. Außerdem: wer hatte schon das Geld, um sich mehrere Hunde leisten zu können?

Schließlich besann man sich auf die Hunde, mit denen man hier sowieso schon lange jagte und beschloss, „vielseitige Gebrauchshunde“ zu züchten: Sie sollten Hasen, Kaninchen und Enten apportieren, Wildschweine aus ihren Einständen jagen, Wild aufstöbern, Schweißspuren verfolgen … Kurz: Ein Hund für alles!

Streitpunkte gab es reichlich, einig war man sich allein über das Motto unter dem man die Sache angehen wollte: „Durch Leistung zum Typ!“ Deutsch-Kurzhaar, Deutsch-Drahthaar, Deutsch-Stichelhaar … – alle diese Rassen haben ihre Anfänge in dieser Zeit.

Um das richtige „Hundematerial“ zu bekommen, wurden Schau-Suchen organisiert, auf denen es hohe Preisgelder zu gewinnen gab. Groß und kräftig sollte er sein, der deutsche Vierläufer. Wer einen Hund meldete, der irgendwie „englisch“ aussah, wurde von den Organisatoren meist gar nicht erst zugelassen. Und selbstverständlich sollte er „hart“ und „scharf“ sein, der deutsche Hund. Denn zum einen entsprach das dem deutschen Selbstverständnis, zum anderen gab es praktische Gründe: Im Wald wimmelte es von Holzdieben und Wilderern. Schärfe - auch Mannschärfe - gehörte deshalb schlicht zu den Zuchtkriterien der Tiere. Man wollte Hunde, die einem nicht nur im Revier, sondern auch bei Gefahr zur Seite standen.

Die Auswahlkriterien für die Zucht waren - nach heutigen Massstäben - brutal, aber effektiv. Hunde die nicht die geforderte Leistung erbrachten, bzw. nicht die notwendigen Anlagen in sich trugen, wurden vom Reviergang oft gar nicht mehr mit nach Hause gebracht … Binnen weniger Jahrzehnte aber kam man so seinem Ziel vom „vielseitigem Gebrauchshund“ immer näher. Natürlich war noch nicht alles perfekt (wer in den 60er-Jahren zum Beispiel mit einem „Deutsch-Kurzhaar“ zur Entenjagd ging, dem konnte es durchaus passieren, dass sein Hund nicht ins Wasser ging), aber man war auf einem guten Weg und konnte sich international durchaus schon mit anderen Rassen messen.

Und dann kamen die Vizsla nach Deutschland. Sie landeten in einer vom tradierten Denken geprägten Hundewelt. Spott und Häme waren vorprogrammiert. Nicht, weil die Hunde schlechter waren, sie waren einfach „anders“. Ihre Rasse war älter, ihre Aufgaben und die an sie gestellten Anforderungen der Jagd in der Puszta angepasst. Und dazu kam: Sie hatten ein ganz anderes Wesen. Sie waren fröhlich, sensibel und reagierten auf lautes Herumgebrülle mit innerem Rückzug. Allerdings waren sie intelligent, lernten schnell und hatten ausgezeichnete Anlagen, forderten von ihren Führern aber auch Einfühlungsvermögen und Geduld.

Und mindestens so seltsam wie die Hunde, so schien es, waren ihre Führer. Statt im Zwinger hielten viele ihre Hunde im Haus, und freuten sich, wenn Hund und Katze gut miteinander zurecht kamen. Katze? Ja, Sie lesen richtig. Ein Jagdhund der nicht voller Wut jeder Katze den Garaus machte galt – und gilt bei manchen Jägern noch heute – per se als unbrauchbar (Die „Schärfeprüfung an der lebenden Katze“ wurde auch in Deutschland erst in den 70er-Jahren verboten). Kurz: da prallten Welten aufeinander!

Heute ist Vieles anders: Die Zucht hat die Hunde besser gemacht. Schwächen wurden ausgebügelt, Stärken gefestigt. Die Jagd hat sich verändert, die Ausbildungsmethoden sind andere, die Einstellung gegenüber Hunden ist vielschichtiger, die Anforderungen differenzierter. Jagdhunde sind heute (fast) immer auch Familienhunde. Die meisten leben im Haus, Sozialverträglichkeit spielt eine große Rolle. Eine im Zwinger verwahrte „Waffe“ will heute (fast) niemand mehr haben.

Es gibt deshalb heute jede Menge Jäger, die, nachdem sie einen guten Ungarn mal bei der Jagd gesehen haben, sagen: „Egal was für ein Hund, Hauptsache ein Vizsla!