VIZSLA VOM HOLSTEINER BROOK

Jagdliche Zucht auf Form, Anlage und Leistung

»Zucht? Das ist doch, wenn man die Hündin einfach mit einem Rüden...?«

Nein, das ist es nicht, und obendrein ist Zucht nicht gleich Zucht. Ein kurzer Ausflug  in die Genetik und die Unterschiede zwischen Schönheits- und Leistungszucht

Einen Hund? Wer hält sich denn aus Spaß einen Hund? Nun, wir tun das. Und Sie und noch etwa fünf Millionen andere Hundebesitzer in Deutschland. Aber das ist gar kein so alter Spaß. Im Mittelalter hätte man sich über uns totgelacht. Wer damals einen Hund hielt, er tat das, weil er ihn brauchte, nicht weil er ihn wollte. Das Leben war damals hart genug, auch ohne, dass man ein zusätzliches Maul zu stopfen hatte. Tatsächlich haben beinahe alle Rassen eine Vergangenheit als Nutztier. Hunde hüteten die Herden, bewachten Höfe, beschützen den Besitz ihrer Herren oder halfen bei der Jagd – oder zogen sogar, und das gar nicht so selten, kleine Karren.

Zucht? Ja, die gab‘s damals schon…– allerdings auf eine etwas andere,  „bodenständigere“ Art als heute. War ein Hund dafür da, die Ratten auf dem Hof zu vertilgen, bekam er in er Regel tatsächlich kein anderes Futter. Das heißt: Erledigte er seinen Job schlecht, verhungerte er. Überleben und fortpflanzen konnte sich nur, wer Leistung brachte. Und das Aussehen? Das spielte erst seit dem späten 18. Jahrhundert eine Rolle. Damals begann der Adel, Hunde auch als Accessoire zu sehen – und im Grunde tun wir das heute auch noch. Hand aufs Herz: Warum wir uns für eine bestimmte Rasse entschieden haben, hängt letztendlich immer auch mit seinem Äußeren zusammen.

Heute sind fast alle Hunde arbeitslos. Schäfer haben zwar noch Hütehunde, aber wie viele Schäfer gibt es noch? Die Zahl der Herdenschutzhunde, die noch bei der Herde leben ist verschwindend gering, der Zahl der Jäger lässt sich im Vergleich zur Bevölkerungsanzahl schon beinahe in Promille ausdrücken, und nicht jeder von ihnen führt einen Hund. Wenn man ganz „gerade“ denkt, dann wäre fast alle Rassen in all ihren Erscheinungsformen heute überflüssig. Man könnte sie aussterben lassen. Auf dem Sofa kuscheln oder im Park joggen, könnte man schließlich auch mit einem quietschfidelen, kerngesunden Mischling, von denen es auf der Welt sowieso viel mehr gibt, und die in der Regel auch vollkommen frei von irgendwelchen Erbkrankheiten sind.

Tun wir aber nicht. Warum nicht? Weil Hunde nicht nur faszinierend vielfältig sind (es gibt neben den etwa 350 von der FCI zugelassenen Rassen noch etliche Hundert „Schläge“), sondern weil eine Hunderasse auch immer ein Stück Geschichte und Kultur eines Landes repräsentiert. Ein Beispiel: Viele von uns kennen Kangals nur als einen in den Hinterhöfen von Berlin vermehrten Hund fragwürdig erscheinender Menschen mit kurz geschorenem Kopf und schwarzen Stiefeln. Ein Hund, der durch seine Erscheinung kleine Menschen ein wenig größer und schwache Menschen stärker erscheinen lässt. Doch wie wichtig und brauchbar ist so ein Hund in den Höhen des Taurusgebirges, wo er ursprünglich herkommt …

Oder wussten Sie, dass Windhunde die einzigen Hunde der islamischen Welt sind, die als „rein“ gelten? Nicht nur, weil sie durch ihre Schnelligkeit und ihren Jagdverstand den Besitzern früher das Überleben in einer dem Menschen im Grund feindlichen Umwelt sicherten, sondern auch, weil einer von ihnen die Höhle der im Koran erwähnten „Sieben Schläfer“ bewachte und dafür vom Propheten Einlass ins Paradies bekam. Eine Geschichte, die heute noch in jedem Freitags-Gebet erzählt wird.

Doch ihr Aussehen und ihre Geschichte sind nicht die einzigen Gründe, warum wir Rassen erhalten (tatsächlich kennen die meisten Hundebesitzer die Geschichte ihrer Rasse gar nicht genau). Die wenigen Hundeführer, die heute noch einen Arbeitshund brauchen, haben Rassehunde, weil sie berechenbar sind: Über die Jahre haben sich bei ihnen bestimmte Talente herausgebildet, gefestigt und schließlich genetisch verankert.

Ein Beispiel: Haben Sie mal gesehen, wie ein Border Collie ein Schaf fixiert, es anpirscht und dann auf einer Bogenline läuft, um es zu treiben? Genau so spielt er auch auf der Hundewiese. Er kann nicht anders. Es ist ein genetisch festgelegter  Bewegungs-ablauf. Und Die Genetik bestimmt auch einen Teil seines  Charakters: Niemals würde ein guter „Border“ ein Schaf packen. Warum nicht? Weil diese Teile einer normalen Jagdsequenz über die Generationen ausgemerzt wurden. Welcher Hirte will schon einen Hütehund, der die Schafe angreift? Das „Vorstehen“ bei einzelnen Jagdhunde-Rassen, also das Anzeigen von Wild in der typischen geduckten Haltung mit angehobener Vorderpfote, ist ebenso eine angeborene Fähigkeit. Ein Retriever kann das nicht und wird es auch niemals lernen. Es steckt einfach nicht in ihm drin. Dafür hat der keine Probleme, auch im tiefsten Winter ins Wasser zu springen, um Enten zu apportieren. Außerdem kann er sich Fallstellen von geschossenen Enten merken („markieren“) und lässt sich über einige Hundert Meter „einweisen“, also schnurstracks und auf geradem Wege zu einer bestimmten Stelle laufen, die er dann absucht. Ein Vizsla könnte das... na ja, nach vielem Training vielleicht auch, aber bestimmt nie so gut wie der Spezialist. Ein Drahthaar könnte es gar nicht. Dafür würde der sich (höchstwahrscheinlich) ohne nachzudenken mit jeder Katze, jedem Marder und jedem Fuchs keilen, sie im Genick greifen und tot schütteln. Einem Vizsla ist diese sogenannte „Raubwildschärfe“ nicht unbedingt angeboren, dafür wird das nachbarliche Verhältnis nicht durch einen „schnellen Kill am Gartenzaun“ getrübt und auch das Frettchen der Lieblings-Nichte überlebt. Man muss einfach wissen, was man will...

Das Problem mit den Anlagen ist: Nicht jeder braucht sie, bzw. will sie auch gar nicht. Wenn Sie sich aus irgendwelchen Gründen in einen Kuvasz, einen ungarischen Herdenschutz-Hund, verliebt haben, dann können Sie nur froh sein, wenn der aus einer Linie stammt, die seit Jahren nur noch auf dem Sofa liegt. Denn das Bewachen liegt diesen Hunden im Blut und das Leben mit so einem Hund ist im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses kein Spaß! Ganz werden Sie sein Schutzverhalten niemals abstellen können, aber mit Glück ist die Anlage schon verloren gegangen. Achten Sie mal auf die vielen Husky-Besitzer, die ihre Hunde nur an der Leine spazieren führen. In diesen Hunden steckt ein unglaublich starker, kaum zu kontrollierender Jagdtrieb, und sie wissen auch, wie man tötet … Will man so einen Hund? Manche wollen das – vielleicht weil sie in ihm das „Wölfische“ sehen. Einfacher wird das Leben dadurch aber ganz sicher nicht …

Es gibt deshalb heute in der Zucht zwei Hauptrichtungen: Für die Schönheitszucht ist der von er FCI festgelegte Standard (eine Art „Bauanleitung“ für eine bestimmte Rasse) ausschlaggebend. Ihr Ziel ist es, einen Hund zu züchten, der diesem Standard nach Möglichkeit wie eine Blaupause entspricht. Denn wenn ein Mensch schön ist (oder als solcher gilt), dann spielt der Zufall dabei eine große Rolle. Ein perfekt gebauter Rassehund aber ist vor allem eine züchterische Leistung.

Das Problem der Schönheitszucht aber ist, dass sie die Anlagen nicht berücksichtigt, bzw. gar nicht berücksichtigen muss - weil die künftigen Besitzer des Hundes mit ihm nicht mehr jagen gehen, und auch keine Schafherde beschützen wollen.

Noch ein Beispiel: Die „Crufts“ - die traditionsreichste und vermeintlich wichtigste Hundeausstellung der Welt - wurde 2010 von einem Vizsla namens Yogi gewonnen. Yogi ist zweifelsfrei ein schöner Hund. Aber wäre er ein guter Jäger? Hätte er die Nase, um eine Schweißspur aufzunehmen und den Willen, die auch auszuarbeiten? Könnte er vorstehen? Würde er auch aus kaltem Wasser apportieren? Das ist nicht sicher, denn das Problem mit den Anlagen ist, dass sie leicht verloren gehen. Artspezifische Merkmale vererben sich sehr sicher (weshalb alle Rüden gerne gegen einen Baum pinkeln), rassespezifische Anlagen verschwinden schnell, wenn die Züchter nicht auf ihren Erhalt achten. Es gibt deswegen auch viele Golden Retriever, die sich zwar noch begeistert in jeder Matschpfütze suhlen, aber gar nicht mehr wissen, was Apportieren eigentlich ist. Und es gibt Vizsla, die nicht mehr jagen können. Stellt sich die Frage: Was ist eigentlich ein Vizsla? Einer der aussieht wie ein Vizsla? Oder einer, der auch jagen kann wie einer?

Für die jagdlichen Züchter spielen deshalb die Anlagen die größte Rolle. Natürlich muss der Hund „im Standard“ sein (also nicht zu groß, zu klein, dürr...), um gekört zu werden, danach aber entscheidet nur noch die Leistung. Und die kann durch Selektion (Zucht) verbessert werden. Genetik ist zwar kein Baukastensystem, in dem sich jeder „seinen Hund“ nach Belieben zusammenzüchten kann, was durch erreicht werden kann, aber ist erstaunlich.

Bevor Sie sich für einen Vizsla entscheiden, überlegen Sie deshalb genau, wie sie ihn später führen möchten, denn selbstverständlich hat die Veranlagung eines Hundes einen Einfluss auf sein Verhalten und darauf, was er von Ihnen fordert.

Wenn Sie kein Jäger und kein Hundesportler sind, dann ist das Leben mit einem Hund, dessen Vorfahren seit Generationen auf dem Sofa liegen oft sehr viel einfacher und entspannter!